17.10.2018

 

Ankunft am Flughafen Graz eine Stunde vor dem Abflug. Auf leichten Sohlen betrat ich die Abflughalle und versuchte Graz, meine Firma, die Bauprojekte, - alles hinter mir zu lassen. Ich war gedanklich schon ein gutes Stück im Urlaub, als es bei der Sicherheitskontrolle laut piepte. Sofort entstand einige Aufregung. Es kam mir vor wie ein Bombenalarm. Die ganze Mannschaft schien von einer gewissen Hektik ergriffen zu sein. Ein Security kam auf mich zu und erklärte es sei nichts, nur der Computer habe mich per Zufallsgenerator ausgesucht. Es folgte eine penible Leibesvisitation und ich überlegte schon, ob ich mir dadurch die erste Massage in China sparen könnte. Aber das war noch nicht alles. Ich sollte das volle Programm bekommen: Abstriche von den Händen, dem Hosenbund, und meines Gepäckinhalts wurden im Massenspektrometer auf Bomben- und Rauchgiftspuren untersucht. Nach einigen Sekunden voller Spannung leuchtete am Display des Prüfgerätes ein grünes Feld mit den Buchstaben „OK“ in fetten Lettern. Augenblicklich entspannten sich die Züge des Wachpersonals und ein freundliches „Alles in Ordnung“ entfuhr der Dame am Kontrollgerät. Als ich danach Hubert und Günter am Gate traf, normalisierte sich die Stimmung wieder.

Der 20 minütige Flug nach Wien verlief ereignislos. Mich wundert immer wieder, dass ich selbst nach hunderten Flügen noch immer dem Moment entgegenfiebere, an dem das Flugzeug die letzte Wolkenschicht durchstößt und der blauen, klaren Weite der Stratosphäre entgegenstrebt. Nach der Landung und dem Blick auf die Abflugtafel gingen wir raschen Schrittes auf unser Gate G11 zu. Zum ersten Mal erlebte ich die automatische Passkontrolle. Zuvor konnte ich mir nicht vorstellen, wie man Reisepässe automatisch kontrollieren kann. Man legt dazu den Pass mit dem Bild nach unten auf eine Scanfläche und betritt danach eine Schleuse. Dabei wird man von der optischen Bilderkennung und einer virtuellen Siluette gesteuert, damit die Kamera ein optimales Foto für den biometrischen Bildvergleich nehmen kann. Danach öffnet sich die  hintere Schleusenklappe und man kann weiter gehen. Bis zum Erreichen des Gates hatte ich die wage Hoffnung im AUA Flieger soviel leeren Raum zu finden, um eine Reihe für mich alleine zum Schlafen zu haben. Diese Hoffnung zerschlug sich, als ich die Menschenmassen vor unserem Gate erblickte. Der Flug wurde nicht mit einer 777 der AUA durchgeführt, sondern mit einem uralten A330 der China Air. Bevor ich noch ins Flugzeug kam gab es abermals Aufregung wegen meiner Person. Als ich „selbstverständlich“ als Letzter das Gate betrat wurde ich schon von einer aufgeregten Flughafenmitarbeiterin gefragt: “Sind die der Herr Schmölzer?“ Mit einer düsteren Vorahnung bezüglich dieser ungewollten Aufmerksamkeit bejahte ich zögernd. „Wir haben Sie schon ausgerufen, Irgendwas passt bei Ihnen nicht, die Airline sucht Sie.“ Mit diesen Worten brachte Sie mich zum Schalter und nach einiger Verwirrung wurde klar, dass das Problem war, dass man kein Gepäck für mich gefunden hat. Das war kein Wunder, hatte ich doch keines aufgegeben sondern reiste nur mit Handgepäck. Als das klar war, durfte ich schließlich einsteigen. Der Flieger war wirklich brechend voll. Positiv fiel mir auf, dass der Sitzabstand deutlich größer als in den AUA Maschinen war. So richtete ich mich recht bequem ein. Eine Riesenenttäuschung war der klapprige Touchscreen am Vordersitz für das Inflight Entertainment. Er wollte einfach nicht funktionieren. Ich hämmerte auf dem Ding herum und wurde wohl langsam hektischer. Wie sollte ich ohne Unterhaltung einen 9 Stunden-Flug durchdrücken. Der Chinese neben mir unterdrückte jeden Kommunikationsversuch im Keim indem er ausschließlich in reinstem Mandarin antwortete. Ich war der Verzweiflung nahe, als ein Fluggast hinter mir Erbarmen zeigte und mich auf die Fernbedienung in der Armlehne hinwies. Das rettete mir den Tag! Es war zwar mühsam, aber funktionierte. Nachdem ich mein Wissen auch mit Günter, der vor mir saß, geteilt hatte, probierte dieser natürlich blind alle Tasten durch, worauf hin die Stewardess auftauchte. Ihre Frage, warum er die Ruftaste betätigt hatte überhörte er einfach.

Um die Zeit totzuschlagen wählte ich in der Kathegorie Action „John Wick Vol.2“ aus und sah entspannt zu, wie sich ein entfesselter Kiano Reeves durch Massen von Verbrechern kämpfte. Seine Tötungsrate betrug etwa 10-15 pro Minute und wollte einfach nicht enden. Bei einer Filmdauer von 120 Minuten errechnete ich etwa 1000 bis 1200 gewaltsam ums Leben gekommene, bzw. ungefähr 40 Liter Blut, die effektvoll vor der Kamera verspritzt werden würden. Ob dieser Aussicht fielen mir schon nach 10 Minuten, bzw. 150 Toten die Augen zu. Als ich wieder zu mir kam versuchte John Wick gerade seinen Schnitt auf 20 pro Minute anzuheben. Da wurde auch schon das Essen serviert und ich konnte das Schlachten pausieren. Was man mir als Lasagne mit Huhn verkaufen wollte, entpuppte sich als Hühnerfleisch in Letscho Sauce mit Gemüse und Kartoffel Gratin. Dazu wurde ein Tunfischsalat und als Nachtisch Musso Chokolad gereicht. Das Essen schmeckte überraschend gut und gab mir die Kraft, die nächsten 200 Toten recht gelassen zu ertragen. Danach krallte ich mir mein neues Notebook und begann mit diesen Aufzeichnungen. Während des Schreibens passierten wir die Tag-Nacht Grenze, obwohl es zuhause erst 16:00 Uhr war. Mittlerweile ist das Flugzeug von völliger Dunkelheit umgeben. Nicht einmal Lichter am Boden sind zu erkennen, da wir uns gerade durch Sibirien bewegen. Die Sterne am Himmel sind die einzigen Wahrnehmungen außerhalb der Maschine. Getragen von der Hoffnung auf etwas Ruhe vor den Anstrengungen des kommenden Tages stopfte ich mir Ohropax in die Hörorgane, setzte die Schlafmaske auf und versuchte zu schlafen. Knapp an der Schwelle zum Einschlafen begann der Chinese neben mir mit seinem Aerobic Programm oder vielleicht war es auch Tai Chi. Jedenfalls zappelte er dauernd herum. Das war aber nur etwa 15 Minuten lang ein Problem. Danach war mir nämlich klar, dass ich den Rest des Fluges wohl wach bleiben würde. Nach knapp 9 Stunden Flug setzten wir sanft in Peking auf. Der Kapitän informierte uns, dass das Rollen zum Flugsteig auf Grund des langen Weges auf diesen Riesenairport wohl ca.15 Minuten dauern würde. Nach etwa 30 Minuten stoppten wir schließlich am Gate und konnten endlich aussteigen.

Um Big Brother in China ordentlich mit daten zu versorgen, mussten wir sämtliche Fingerabdrücke selbst scannen. Nur Urin-, Speichel- oder Blutproben wurden keine benötigt. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse des Personals bleibt einem die in Amerika übliche penible Einvernahme des Reisenden erspart. So hatten wir diese Kontrollen in unter einer Stunde erledigt. Das hat den Vorteil, dass man am Gepäckband nicht auf seine Koffer warten muss. Als Nächstes mussten wir unbedingt Bargeld besorgen damit wir nicht zu Fuß vom Flughafen die 30 Km zu Hotel laufen mussten. Ich bog zum ersten Bankomaten ein und musste mich hinter einem Chinesen anstellen. Der startete gleich 10 Transaktionen hintereinander und holte stapelweise Geld aus der Kiste. Als er endlich abzog, versuchte ich mein Glück. Knapp vor Ende der Transaktion brach der Automat aber ab. Am Bildschirm prangte der Schriftzug „Out of order“ (Außer Betrieb). Ich sah dem Chinesen noch zu, wie er glücklich die Halle verließ, begleitet von meinen besten Glückwünschen. Hubert erbarmte sich und wechselte einen Hunderter und bekam dafür um einen Hunderter Yuan weniger als in der Bank. Damit könnten wir alle drei zwei Tage lang frühstücken. Etwas müde aber voller Hoffnung kamen wir nach einer ca. Einstündigen Taxifahrt im Hotel an. Die Zimmer waren so früh am Morgen natürlich nicht eincheck – bereit. Also ließen wir das Gepäck dort und machten uns auf die Socken, die Gegend zu erkunden. Unser Hotel, das „The Emperor“ (Der Kaiser) befindet sich direkt in einer Fußgängerzone, die direkt südlich an den Tiananmenplatz (Der Platz des himmlischen Friedens) anschließt. In diesem Viertel hat man versucht die alten Hutongs der Pekinger Altstadt nachzubauen. Hier reihen sich die Restaurants und Läden aneinander. Touristen und vor Allem Einheimische tummeln sich in den Straßen. Die Restaurants verströmen die unterschiedlichsten Gerüche nach Gewürzen und Gegartem. Die Gerüche, Geräusche gepaart mit dem bunten Treiben erzeugen die besondere Atmosphäre, für die die Hutongs berühmt sind. In einer der vielen Seitengassen, abseits des Touristenstromes fiel uns ein Lokal mit einfachster Ausstattung auf. Entgegen des optischen Eindrucks war es voll mit Einheimischen; genau das was wir suchten. Wie zu erwarten, war jegliche verbale Kommunikation mit dem Personal unmöglich und wir mussten uns mit Handzeichen verständigen. Beim Eintreten war mir ein Mädchen aufgefallen, das eine WonTon aß. Das ist eine klare Rindsuppe mit gefüllten Teigtaschen – in China mein Lieblingsgericht. Also versuchte ich eine WonTon zu bestellen. Aber selbst ein so simples Wort aus nur zwei Lauten wird absolut nicht verstanden. Es reicht wohl eine Nuance in der falschen Betonung. Ich musste auf das Mädchen mit der WonTon zeigen, um meine Lieblingssuppe zu bekommen.

Dermaßen gestärkt machten wir uns Richtung Tiananmen Platz auf. Eingerahmt von der Verbotenen Stadt, der Halle des Volkes (Parlament), der kommunistischen Parteizentrale und dem Mao-Mausoleum bildet dieser Platz das wahre Zentrum Pekings. Er bietet Platz für etwa 3 Millionen Menschen. Einige Hunderttausend sind dort an einem durchschnittlichen Tag wie diesem schon anzutreffen. Die meisten davon in einer ca. 5 Meter breiten aber 500 Meter langen Schlange vor dem Mao-Mausoleum. Um den Platz überhaupt betreten zu können, mussten wir eine Sicherheitsschleuse passieren, in der alles Gepäck gescannt und man von freundlich lächelnden Polizistinnen einer Leibesvisitation unterzogen wurde. Einen halben Tag anzustehen um einen kurzen Blick auf eine Leiche zu erhaschen, war nicht ganz unser Ding, also wandten wir uns Richtung Norden zur verbotenen Stadt. Dies war einst die Wohnung des Kaisers und daher entsprechend ausgestattet. Auf einer Fläche von 720.000 m² befinden sich 890 Paläste nebst unzähligen Nebengebäuden und Wohnanlagen für die sicher zahlreichen Bediensteten. Man muss schon sagen: Dieser Mann zeigte wahre Größe. Nachdem wir uns gemeinsam mit unendlichen Menschenhorden durch die ersten zwei Höfe gequält hatten, brachten uns lange Schlangen an den Ticketschaltern zur Verzweiflung. Meine Begleiter gaben schließlich auf und verzichteten auf eine Inaugenscheinnahme des inneren Palastbereichs. Ich hatte den auch schon vor Jahren besichtigt und konnte ebenfalls verzichten. Wieder hinauszukommen gestaltete sich dann schwieriger als erwartet. Eine Zeit lang versuchten wir gegen den Strom der anstürmenden Menschenmassen zu schwimmen, wurden aber bald von einem Polizisten gestoppt. Er meinte nur:“one way, one way“ und wies in die entgegengesetzte Richtung. Die Auswirkungen eines Wiederstands gegen die Staatsgewalt wollten wir dann doch nicht ausprobieren und marschierten wieder Richtung Palast. Vor dem Eingang konnten wir dann links abbiegen und mit einem ordentlichen Umweg wieder zurück zum Tiananmen Platz gehen. Mir brannten die Füße nach dem Gewaltmarsch recht ordentlich.

Wir hatten jedoch immer noch unser Geldproblem: kein Geldautomat wollte uns die ersehnten Scheine herausrücken und auch unsere Euro-Bargeldreserven waren nach einem Kassasturz, der bei uns Dreien zusammen nur 1000 Euro ergab, eher bescheiden für einen 2-wöchigen Chinaaufenthalt. Es begannen langwierige Konversationen mit unseren Hausbanken über die Daheimgebliebenen ohne nennenswertes Ergebnis. Keiner konnte sich vorstellen, wieso die Geldbehebung ausgerechnet bei uns nicht funktionierte. Was jedoch dem Fass den Boden ins Gesicht schlug, war die Tatsache, dass mir meine Bank eine dieser nicht funktionierenden Barbehebungen anlastete. Später trafen wir auch noch andere Mitreisende aus dem gleichen Flieger zufällig. Auch die waren schon ganz verzweifelt, weil sie nirgends Geld beheben konnten. Hubert und ich machten uns dann auf den Weg um bei einer Bank Bargeld zu tauschen. Wir versuchten dies in einer größeren Filiale der Bank of China. Zuerst musste man sein Ansinnen bei einem Infostand vortragen. Nach einer groben Prüfung der Grundvoraussetzungen sowie unserer Pässe, wurden wir wohl für würdig befunden und bekamen einen Zettel mit einer Wartenummer ausgehändigt. Da das Prozedere pro Person etwas aufwendig war, entschlossen wir uns ganz unbürokratisch unser Geld gemeinsam auf ein Mal zu wechseln um Zeit zu sparen. Nach quälenden 30 Minuten des Wartens, wurde ich endlich aufgerufen und durfte zum Schalter vortreten. In den folgenden 15 Minuten wurde mir augenscheinlich vorgeführt, wie man ein Riesenvolk von 1,5 Milliarden sinnlos beschäftigen kann, damit sie nicht unnötiger Weise Gedanken über ihre Situation machen können. Einen kleinen Teil beamtet man und der Rest steht in der Schlange. Beim Marsch zur Bank bemerkte ich ein Brennen an den Waden und wunderte mich über die Stärke des Muskelkaters, der mich heimsuchte. Wieder zurück im Hotel sah ich die Misere: was auf meinen Unterschenkeln derart brannte war großflächiger Hautausschlag mit lauter knallroter Flecken, die bei Berührung ein Brennen verursachten. Nachdem ich den ersten Schreck überwunden hatte und mir nichts einfiel, das so eine allergische Reaktion hervorrufen könnte, entschloss ich mich, das Ganze zu ignorieren und abzuwarten.

Das Abendessen nahmen wir dann in einem typischen Restaurant in den Hutongs. Nach dem tollen Geschmackserlebnis und den bis dahin stressigen 30 Stunden unserer Reise war ich endlich hundemüde und sank in mein – wie in China üblich – viel zu hartes Bett und schlief unmittelbar ein.